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AutorenbildDr. Teresa Wenhart

Die Kunst des Augenblicks: Jazz Improvisation & Flow

Kontrolle durch Loslassen: Bessere Leistung und Kreativität 'in the Zone' und wie das Gehirn 'Flow' erzeugt


In dieser Ausgabe von "Brain Notes" werfen wir einen Blick auf eine faszinierende, neue Studie, die untersuch hat, welche Prozesse im Gehirn während einer Jazz-Improvisation stattfinden. Besonders interessant ist dabei, wie sich diese Prozesse je nach musikalischer Expertise und Stärke des Flow-Zustandes unterscheiden: dem zeitvergessenen Zustand, in dem wir ganz in unserer Tätigkeit aufgeben und Störungen der Umwelt ausblenden.



Jazz Improvisation and Flow in the Brain

Key Facts & Learnings


Studie:

Creative flow as optimized processing: Evidence from brain oscillations during jazz improvisations by expert and non-expert musicians (Rosen et al. 2024)


Studieninhalte: 
  • Forscher:innen erfassten die elektrische Aktivität im Gehirn während erfahrene und weniger erfahrene Jazz-Guitarristen wiederholt über eine vorgegebene Akkord-Sequenz improvisierten

  • die Musiker:innen gaben jeweils mittels eines Fragebogens (Core Flow State Scale) Auskunft über den Grad von "Flow" während der Improvisation

  • vier Jazz-Dozenten mit je mindestens 25 Jahren Berufserfahrung (3 Hochschule-Dozierende) beurteilten Ästhetik, Kreativität und Technik der Improvisationen


Ergebnisse: 
  • Stärkerer "Flow"- Zustand ging mit erhöhte Aktivität in auditiven, visuellen und sensomotorischen Regionen einher

  • Musiker:innen mit mehr Auftritts-Erfahrung hatten stärkeres "Flow"- Erleben und insgesamt geringere Aktivität in Regionen des Gehirns, die mit "Mindwandering" in Verbindung stehen. Sie zeigten zudem geringere Aktivität in Regionen, die für kognitive Kontrolle verantwortlich sind (fronto-parietal control network, FPCN)

  • Improvisationen, für die die Musiker:innen stärkere "Flow"-Zustände angaben, wurden besser beurteilt gegenüber Durchgängen mit geringerem "Flow"-Erleben



Hintergrund: Flow

Der Zustand des "Flow" wurde von seinem Entdecker Csikszentmihalyi beschrieben als "a state in which people are so involved in an activity that nothing else seems to matter; the experience is so enjoyable that people will continue to do it even at great cost, for the sheer sake of doing it". Flow kann bei kreativen (musikalische Improvisation, Performance, Komposition etc.) und nicht-kreativen Tätigkeiten (z.B. lesen, mathematisches Problemlösen etc.) auftreten und tritt meistens auf, wenn die Aufgabe anspruchsvoll und die dafür nötigen Fähigkeiten in einem ausgeglichenen Mass vorhanden sind. Darüber hinaus muss die Aufgabe ein klares, zeitlich begrenztes Ziel in naher Zukunft anstreben und es sollte sofortiges Feedback über den Fortschritt im Hinblick auf Ziel und Performance zur Verfügung stehen.

Während "Flow" also ein mentaler Zustand ist, ist "Kreativität" ein Prozess ist, der manchmal in einem Flow-Zustand stattfinden kann, jedoch manchmal auch in weniger fokussierten Zuständen ("Mindwandering") abläuft.


Implikationen für Musiker:innen

Diese Ergebnisse der Studie unterstützen die Ansicht, dass kreative Flow-Erlebnisse mit besserer Performance einhergehen. Musiker:innen sind dann ' im Flow' bzw. 'in the Zone', wenn sie kognitive Kontrolle abgeben können. Dieses "loszulassen" (Letting go) zeigt sich durch verringerte Aktivität im frontalen Teil des Gehirns, d.h. des Stirnhirns. Dieser Bereich des Gehirns agiert wie eine Kommandozentrale und möchte uns in einem Monolog gerne permanent Anweisungen geben und Korrekturen vorschlagen, wenn sie etwas als nicht gut beurteilt.

Komplett loszulassen und die Gedanken schweifen zu lassen ist jedoch auch keine Lösung. Gleichzeitig muss die Person jedoch eine entspannte Form der fokussierten Aufmerksamkeit auf die spezifische Aufgabe (z.B. das musikalische Ziel, die Sinneswahrnehmung) richten. Laut der Studie der Autor:innen steht der 'Flow'-Zustand allerdings im Gegensatz zu eher passiv, reizoffener Aktivität beim kreativen "Mindwandern". Die Voraussetzung dafür ist in beiden Fällen musikalisch-technische Expertise.

Der Zustand des "Flow" wird in der Regel als mental sehr positiv und angenehm beschrieben (siehe Items der Core Flow State Scale unten) und kann daher auch Anspannung auf der Bühne vorbeugen bzw. diese reduzieren. Paradoxerweise führt das aufgeben von bewusster, angespannter Kontrolle im Flow-Zustand über das Gefühl, ganz in der Tätigkeit aufzugehen, gleichzeitig zu einem Gefühl von Sicherheit ('I feel in control', 'It feels like everything clicks').


Anwendungs-Tipp


Auf Kommando zu entspannen und "loszulassen", um das Frontalhirn herunter zu fahren und in einen Flow-Zustand zu geraten funktioniert ungefähr so gut wie nicht an einen Rosa Elefanten zu denken: gar nicht!! Die anderen Ergebnisse der Studie zeigen jedoch, dass es hilfreich sein kann, wenn wir uns bewusst auf sensorische Empfindungen aus visuellen, auditiven, taktilen Informationen und Bewegungssinn konzentrieren. Den Zusammenhang dieser Empfindungen - insbesonderer sensomotorischer - mit dem Klangergebnis stetig beobachtend (d.h. nicht wertend) zu vergleichen, kann zu einem Zustand entspannter aber fokussierter Konzentration führen. Mehr Bühnenerfahrung und ein grösseres Repertoir an technischen und musikalischem Material im Repertoir wirkt langfristig.


Wie oft bist du beim Üben oder auf der Bühne in einem Flow State?


Core Flow State Scale (Martin et al., 2008)

ITEM


Never/ Strongly Disagree


2


3




4


Always/

Strongly Agree

I am ‘totally involved’






It feels like 'everything clicks'






I am 'tuned in' to what I am doing






I am 'in the zone'






I feel 'in control'






I am 'switched on'






It feels like I am 'in the flow' of things






It feels like 'nothing else matters'






I am 'in the groove'






I am 'totally focussed' on what I am doing









 

Quellen


  • Rosen, D., Oh, Y., Chesebrough, C., Zhang, F. Z., & Kounios, J. (2024). Creative flow as optimized processing: Evidence from brain oscillations during jazz improvisations by expert and non-expert musicians. Neuropsychologia, 108824.

  • Csikszentmihalyi, M., & Csikzentmihaly, M. (1990). Flow: The psychology of optimal experience (Vol. 1990, p. 1). New York: Harper & Row.

  • Nakamura, J., & Csikszentmihalyi, M. (2002). The concept of flow. Handbook of positive psychology, 89, 105.

  • Martin, A. J., & Jackson, S. A. (2008). Brief approaches to assessing task absorption and enhanced subjective experience: Examining ‘short’and ‘core’flow in diverse performance domains. Motivation and Emotion, 32, 141-157.

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