top of page
AutorenbildDr. Teresa Wenhart

Hochsensibilität bei Musikern - Zwischen künstlerischer Gabe und emotionaler Herausforderung

Aktualisiert: 21. Apr.

Musik ist die Sprache der Emotionen. Sie kann uns berühren, mitreißen und in eine Welt jenseits der Worte entführen. Für Musiker:innen sind Emotionen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit. Aber was passiert, wenn ein:e Musiker:in hochsensibel ist? Wie beeinflusst Hochsensibilität die Art und Weise, wie sie Musik erleben und ausdrücken?


Hochsensible Menschen nehmen häufig Nuancen in Klängen oder anderen Reizen war, die andere Menschen nicht wahrnehmen

Was ist Hochsensibilität?

Etwa 15-20% der Bevölkerung sind hochsensibel. Hochsensibilität ist keine Krankheit sondern ein Persönlichkeitsmerkmal (HSP, Highly Sensitive Person) und beschreibt eine überdurchschnittlich tiefgreifende Sensibilität gegenüber Reizen aus der Umwelt. Hochsensible Menschen nehmen Reize intensiver wahr als andere. Das können Geräusche, Gerüche, visuelle Eindrücke oder auch emotionale Schwingungen sein. Hochsensibel zu sein, kann deshalb eine große Begabung für Musiker:innen sein, aber auch eine Belastung, mit der man lernen muss, umzugehen. Es ist nicht bekannt, wie häufig Hochsensibilität bei Musiker:innen vorkommt. Nach meiner Erfahrung dürfte es jedoch deutlich verbreiteter sein, da Künste hochsensible Menschen besonders anziehen.


Merkmale hochsensibler Menschen

Hochsensible Menschen haben oft einige gemeinsame Merkmale:

  1. Starke Reaktion auf Reize: Hochsensible Personen reagieren häufig empfindlicher auf starke Reize wie hohe Lautstärke, Berührungen, visuelle Reize oder bestimmte Nahrungsmittel (z.B. Kaffee, Alkohol, Zucker, Zusatzstoffe) und Medikamente. Die Ausprägung kann sehr individuell sein.

  2. Überstimulation: Aufgrund ihrer intensiven Wahrnehmung können hochsensible Menschen schneller überstimuliert sei. Das bedeutet, dass laute Geräusche, große Menschenmengen oder intensive Gespräche sie leicht erschöpfen können.

  3. Intensive Wahrnehmung: Hochsensible nehmen subtile Details wahr, die anderen entgehen könnten. Sie erkennen Nuancen in Musik, Kunst und Natur, die für sie eine besondere Schönheit haben.

  4. Hohe Empathie: Sie sind in der Regel äußerst empathisch und einfühlsam. Sie spüren die Gefühle anderer stark und können sich leicht in deren Lage versetzen

  5. Tiefe Verarbeitung: Sie denken oft tief über Dinge nach, analysieren und reflektieren. Das kann zu Kreativität und Weisheit führen, aber auch zu starken Selbstzweifeln und Perfektionismus.

Hochsensibilität bei Musikern und Musikerinnen

Hochsensibilität als Stärke und Begabung

  1. Musikalische Interpretation: Hochsensible Musiker:innen sind oft hervorragende Geschichtenerzähler in der Musik. Sie können Emotionen und Geschichten in einem Stück besonders gut erfassen und vermitteln. Sie können ein Stück in seiner ganzen Tiefe erfassen.

  2. Subtile Nuancen & Klangfarben: Sie erkennen feinste Nuancen in Klang und Melodie. Das hilft ihnen, besonders schöne Klangfarben zu erzeugen und fühlen besonders gut, wie sie diese Vorstellung körperlich Umsetzen können.

  3. Kreativität und Ausdruckskraft: Hochsensible Musiker:innen haben eine tief verwurzelte Kreativität. Sie interessieren sich häufig auch für andere Künste, denken vernetzt und in Analogien. Sie können ihre Emotionen durch Musik ausdrücken und schaffen oft einzigartige Werke, die andere tief bewegen.

  4. Starke emotionale Verbindung: Musik - ob selbst gespielt/komponiert oder rezipiert - kann hochsensible Musiker:innen auf einer persönlichen Ebene berühren. Künstlerische Aktivitäten haben für hochsensible Musiker:innen oft intrinsischen, nicht selten therapeutischen Wert.

  5. Verbindung zum Publikum: Sie können eine einzigartige emotionale Tiefe in ihrer Musik erzeugen und tiefgreifende Verbindungen zu ihrem Publikum herstellen. Sie spüren die Verbindung zum Publikum und den Mitspielenden auf der Bühne besonders deutlich.

Hochsensibilität als Herausforderung

  1. Anfälligkeit für Lampenfieber: Sie nehmen auf der Bühne nicht nur Stimmungen des Publikums und der Mitspieler:innen intensiver wahr, sondern können diese auch schlechter ausblenden. Das gleiche gilt für eigene physiologische Stresssymptome. Wegen ihrer hohen Empathie ist es ihnen auch wichtiger, wie sie auf andere wirken. Dies führt zu stärkerer Anspannung auf der Bühne.

  2. Stärkere Stressreaktion: Das Nervensystem von Hochsensiblen reagiert früher und schneller auf Stressreize. Nicht nur Kaffee oder Alkohol haben eine oft eine stärkere Wirkung, auch externe Stressoren (z.B. Auftritte, Reisestress, chronischer Stress) führen zu einer stärkeren körperlichen und psychischen Reaktion.

  3. Niedriger Selbstwert: Hochsensible Musiker:innen reagieren häufig schon als Kinder sehr sensibel auf Kritik und können sich auch als Erwachsene nicht gut davon distanzieren. Aufgrund ihrer hohen Empathie nehmen sie auch feine Zwischentöne in Sprache sehr genau auf. Sie brauchen oft Stunden oder Tage um mit negativen Emotionen ausgelöst durch ihre Mitmenschen umgehen zu können.

  4. Starke Emotionen: Sie reagieren sind sehr schnell von eigenen Emotionen oder den Emotionen anderer überflutet (emotionale Ansteckung).

  5. Reizüberflutung: Hochsensible Menschen brauchen viel Zeit für sich und in ruhiger Umgebung, um sich von den vielen Reizen im Alltag zu erholen.

Umgang mit Hochsensibilität

Reize

Menschen, die hochsensibel sind, können lernen, mit ihren besonderen Fähigkeiten umzugehen. Selbstfürsorge, Entspannungstechniken und der Aufbau von gesunden Grenzen sind wichtige Werkzeuge. Das bedeutet zum Beispiel, dass man sich vor einem Konzert lieber zurückzieht, anstatt sich in einem Raum aufhält, indem sich die Mitmusiker:innen des Orchesters gleichzeitig einspielen. Es ist auch wichtig, genug Pausen im Alltag einzubauen, um übermässigen Stress zu vermeiden, und Nahrungsmittel zu meiden, auf die man besonders stark reagiert. Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung können auf Reisen gut helfen.


Lampenfieber und chronischer Stress

Meditation und regelmäßiges Entspannungstraining sowie gesunder, regelmäßiger Schlaf helfen langfristig, Stress vorzubeugen und auch auf der Bühne gelassener mit Anspannung und mit vielen Reizen umzugehen. Kurzfristige Maßnahmen gegen Anspannung auf der Bühne sind bei Hochsensiblen besonders wirksam. (Siehe auch Lampenfieber - psychologische, körperliche und sinnliche Sofortmaßnahmen). Auch entspannende Maßnahmen wie eine warme Badewanne mit beruhigenden Ätherischen Ölen (z.B. Lavendel) oder Tees (z.B. Lavendel, Baldrian, Hopfen) können kurzfristig und langfristig helfen.


Emotionen und Selbstwert

Um mit eigenen Emotionen und Gefühlen wie akuter Wut, Trauer, Verletztheit oder mangelndem Selbstwert gut umzugehen, ist es wichtig, das regelmäßig zu üben. Zum Beispiel mit Techniken der positiven Psychologie (Siehe auch: Positive Psychologie - 10 Tipps für Musiker:innen), einem Emotionstagebuch und vor allem emotionaler Abgrenzung (z.B. reduzierter Konsum von negativen Medien, Zeitung, Nachrichten, Kritiken und besonders Sozialen Medien). Besonders wichtig ist ihr auch der emotionale Austausch mit vertrauen Personen und Rückhalt von Freunden.



 

Quellen und weiterführende Literatur:

  • Aron, E. N., Aron, A., & Jagiellowicz, J. (2012). Sensory processing sensitivity: A review in the light of the evolution of biological responsivity. Personality and Social Psychology Review, 16(3), 262-282.

  • Aron, E. N., & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of personality and social psychology, 73(2), 345.

  • Aron, E. N. (2013). The highly sensitive person: How to thrive when the world overwhelms you. Kensington Publishing Corp..

Comments


bottom of page