Schon im alten Griechenland galten Frauen als Musen - göttliche Inspiration für kreatives Schaffen jeder Art. Später mutmaßte Charles Darwin, dass Musik machen bei Singvögeln und Menschen zu Attraktivität und durch sexuelle Selektion zur Evolution beiträgt. Steigern romantische Motive die Kreativität und welche Musik erhöht die Attraktivität?
Der "Muse" - Effekt
Schon im alten Griechenland galten Frauen als Musen - göttliche Inspiration für kreatives Schaffen jeder Art. Die neun Musen der griechischen Mythologie, Töchter von Zeus und der Göttin der Erinnerung Mnemosyne, wurden von Apoll, dem Gott der Künste, geleitet. Im Verlauf der Geschichte wurden immer wieder echte Personen - meist Frauen - als Musen bezeichnet, die Künstler - meist Männer - durch ihre Persönlichkeit, ihre Ausstrahlung, ihre Sanftmut oder ihre romantische oder erotische Beziehung inspirierten.
Mehrere Studien der Forschungsgruppe um Vladas Griskevicius untersuchte den Effekt von romantischen oder sexuellen Motiven auf Kreativität bei Männern und Frauen. Die Forscher zeigten Versuchsteilnehmer:innen entweder Bilder von attraktiven oder von neutral aussehenden gegengeschlechtlichen Personen. Anschliessend sollten die Versuchspersonen Kurzgeschichten verfassen, die schliesslich von einer Jury beurteilt wurden. Romantische Motivation, ausgelöst in der Gruppe, die attraktive Personen vorgelegt bekam, steigert nur bei Männern unbewusst die Kreativität - und zwar bezogen auf die Qualität, nicht die Quantität der Kurzgeschichten.
In einer weitere Studie mussten Frauen und Männer einen standardisierten Kreativitätstest absolvieren, nachdem sie entweder eine kurzfristige romantische Interaktion (z.B. Date, One Night Stand) oder ein langfristige Partnerschaft imaginieren sollten. Sowohl bei Männern als auch Frauen steigerte solch ein romantisches Motiv die Leistung im Kreativitätstest. Während es bei Männern dabei nicht darauf ankam, ob sie eine kurzfristige oder langfristige Beziehung anstrebten, war der "Muse"-Effekt auf Kreativität bei Frauen nur bei dem Motiv einer langfristigen romantischen Beziehung vorhanden. Selbst eine Bedingung mit monetärem Ansporn kam gegen den Effekt romantischer Motivation auf Kreativität nicht an.
Welche musikalischen Kompositionen bevorzugen fruchtbare Frauen?
Der Wissenschaftler Benjamin D. Charlton wollte vor etwa 10 Jahren genauer herausfinden, was an der Theorie der musikalischen Evolution durch sexuelle Selektion dran ist und führte eine wissenschaftliche Studien mit insgesamt 1465 Frauen in fruchtbaren und weniger fruchtbaren Phasen ihres Menstruationszyklus durch. In seinem Experiment ließ er eine Gruppe von Frauen 4 unterschiedlich komplexe, neu komponierte Klavier-Kompositionen vergleichen. Dabei sollten diese jeweils aus zwei kurzen Kompositionen diejenige auswählen, welche verglichen mit der anderen komplexer war. So konnte B.D. Charlton sicherstellen, dass die von ihm ausgewählten Kompositionen als unterschiedlich komplex wahrgenommen wurden. Wie zu erwarten wurden rhythmisch und harmonisch komplexere Kompositionen - d.h. jene mit mehr unterschiedlichen Akkorden (2,3,6 versus 7 verschiedene Akkorde) und Synkopen (nur in einzelnen Takten oder linker oder rechter Hand bis hin zu über das ganze Stück und beide Hände verteilt) - als komplexer eingestuft.
„These results suggest, that women may acquire genetic benefits for offspring by selecting musicians able to create more complex music as sexual partners.“ - Benjamin D. Charlton
Dieses Komplexitäts-Ranking verwendete er schließlich für die zweite, entscheidende Studien. Eine neue, unvoreingenommene Gruppe aus Studienteilnehmerinnen fragte er nun bei jedem Melodiepaar, ob sie den Komponisten der einen oder der anderen Melodie als Partner bevorzugen würden. Dabei fragte er sowohl nach der Präferenz für eine kurzfristige versus eine langfristige Partnerschaft und dies zeigte einen entscheidenden Unterschied: Frauen bevorzugten während ihrer fruchtbaren Phase Komponisten von harmonisch und rhythmisch komplexer Musik signifikant häufiger für eine kurzfristige Partnerschaft, jedoch spielte die Komplexität der Kompositionen in Bezug auf die Präferenz für eine langfristige Partnerschaft keine Rolle. In der nicht-fruchtbaren Phase gab es generell keine Präferenz für Komponisten komplexer oder weniger komplexer Musik. Benjamin Charlton schließt daraus, dass Frauen kreative Partner nicht generell bevorzugen, sondern dass Frauen während ihrer fruchtbaren Phase besonders zu Indikatoren genetischer Qualität - in diesem Fall kreativer Intelligenz & kognitiven Fähigkeiten, die zum komponieren und spielen komplexer Musik befähigen - hingezogen sind.
Musikalische Anziehung - Die Theorie sexueller Selektion
Warum hat Musik für den Menschen einen so hohen Stellenwert und wird über Generationen weitergegeben und weiterentwickelt, wenn sie auf den ersten Blick keinen offensichtlichen evolutionsbiologischen Vorteil für das Überleben der Menschheit liefert?
„Music notes and rhythm were first acquired by the male or female progenitors of mankind for the sake of charming the opposite sex“ - Charles Darwin
Ungefähr vor 150 Jahren stellte Charles Darwin in seiner Abhandlung "The descent of man: and selection in relation to sex" (1871) die Theorie der sexuellen Selektion in der Evolution von Musik auf. Musik hat zunächst betrachtet keinen offensichtlichen adaptiven Vorteil in der Evolution. Weder ernährt es den Körper, noch kann man damit Feinde besiegen oder sich optisch vor jenen verstecken. Charles Darwin mutmaßte deshalb, dass Vogelgesang und Menschen-gemachte Musik zur Attraktivität beitragen und als solche zur Anziehung von Partner:innen nützlich ist. Sie trage also durch den Faktor Attraktivität zur sexuellen Selektion bei, ähnlich wie z.B. der Balztanz oder andere Verhaltensgesten von Tieren, die dem Werben um die Partnerin und letztendlich der Fortpflanzung dienen. Die Forschungsgruppe um die Forscher Martie Haselton und Geoffrey Miller konnte zum Beispiel zeigen, dass kreative Intelligenz auf Frauen während der fruchtbaren Phase des Zyklus besonders attraktiv wirkt.
Über sexuelle Attraktivität hinaus - andere Theorien musikalischer Evolution
Die Theorie sexueller Selektion ist natürlich nicht die einzige Theorie, die versucht, die Evolution von Musik zu erklären. Eine andere, sehr bekannte Theorie vermutet, dass sich Musik als Nebenprodukt der Evolution von Sprache entwickelt habe. Dies leuchtet intuitiv ein, denn viele Menschen empfinden Musik als nonverbale Kommunikation von Emotionen und Stimmungen. Nicht zu vergessen ist, die große Bedeutung vokaler Musik, besonders in der älteren Musikgeschichte. Verwandt damit ist daher auch eine andere Theorie, die besagt, dass Musik über Kind-gerichtete Lieder (z.B. Schlaflieder) eine entscheidende Rolle in der Mutter-Kind-Interaktion spielt. Viele Aspekte dieser drei Theorien vereint die derzeit wohl populärste Theorie der musikalischen Evolution: jene der sozialen Bindung durch Musik. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass Musik machen in einer Gruppe das Gemeinschaftsgefühl stärkt und auch zu Hormonausschüttung des Bindungshormons Oxytocin führt. Auch als »Kuschelhormon« bekannt, wird Oxytocin in besonderem Maße bei der Geburt, beim Stillen, allgemein beim Körperkontakt von Menschen und nach dem Geschlechtsverkehr ausgeschüttet. Da soziale Bindung und Gruppenzugehörigkeit für Menschen ein zentraler Überlebensvorteil ist, könnte in dieser Wirkung der evolutionsbiologische Vorteil von Musik bestehen.
Fazit & Kritik
Obwohl die Studie von Benjamin Charlton die Theorie der sexuellen Selektion nicht belegen kann, zeigt sie laut des Wissenschaftlers, dass Frauen die Komplexität von Musik als Attraktivitätskriterium verwenden und sie damit zur Evolution immer komplexerer Musik beigetragen haben könnten.
Insgesamt muss jedoch betont werden, dass in unserer heutigen Gesellschaft sowohl die alleinige Betrachtung monogamer, heterosexueller Attraktivität nicht mehr zeitgemäß ist, da es bei weitem nicht die einzige Lebensform des Menschen ist. Zudem nehmen Frauen schon seit Jahrzehnten mehr und mehr aktiv am Berufs- und Musikleben teil. Auch wenn bis zu einer echten Gleichstellung und Gleichberechtigung noch ein langer Weg ist, kann eindeutig festgehalten werden, dass der Lebensinhalt von Frauen heutzutage nicht mehr vorwiegend aus Partnerschaft und Kindererziehung besteht und dass kein Unterschied im kognitiven oder musikalischen Potential von Frauen und Männern messbar ist. Es könnte also genauso untersucht werden, in wie weit komplexe Kompositionen die musikalische Anziehung von Komponistinnen und Musikerinnen erhöht.
Quellen und weiterführende Literatur
Charlton, Benjamin D. "Menstrual cycle phase alters women's sexual preferences for composers of more complex music." Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 281, no. 1784 (2014): 20140403.
Charlton, B. D., Filippi, P., & Fitch, W. T. (2012). Do women prefer more complex music around ovulation?. PLoS One, 7(4), e35626.
Darwin, C. (1888). The descent of man: and selection in relation to sex. John Murray, Albemarle Street.
Haselton, M. G., & Miller, G. F. (2006). Women’s fertility across the cycle increases the short-term attractiveness of creative intelligence. Human nature, 17, 50-73.
Vladas Griskevicius, Robert Cialdini, and Douglas Kenrick (2007) ,"The Muse Effect: When Romantic Motives Create Creativity", in NA - Advances in Consumer Research Volume 34, eds. Gavan Fitzsimons and Vicki Morwitz, Duluth, MN : Association for Consumer Research, Pages: 15.
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