Musik ist mehr als nur Kunst – sie ist oft eine Lebensaufgabe, die sowohl körperlich als auch mental, sozial und familiär enorme Herausforderungen mit sich bringen kann. In diesem intensiven Umfeld spielt die psychische Gesundheit eine entscheidende Rolle, und genau hier setzten Psychologen für Musikerinnen an. Doch warum gibt es überhaupt spezialisierte Psychologinnen für Musiker, und was unterscheidet sie von verwandten Fachpersonen?
(Blogartikel in meinem Blog verwenden abwechselnd die männliche, die weibliche und die gegenderte Form. Wo nicht anders vermerkt, sind immer alle Menschen gleich gemeint.)
Warum braucht es spezifische Psychologen für Musiker?
Musiker:innen befinden sich in einer einzigartigen, anspruchsvollen Situation. Ihr Beruf fordert nicht nur technische Perfektion und ständige Kreativität, sondern auch eine hohe emotionale und mentale Belastbarkeit.
Hier einige typische Herausforderungen:
Spezifische Belastungen im Musikerberuf: Lampenfieber, Auftrittsangst, mentale, emotionale und zeitliche Belastung durch Proben & Konzerttätigkeit, berufliche Unsicherheiten, Reisestress
Gesellschaftliche Herausforderungen: Leistungsdruck, Perfektionismus, ungenügende Gleichberechtigung und Diversität
Soziale Schwierigkeiten: Einsamkeit und/oder zu wenig Zeit für sich, Verstrickung mit der Herkunftsfamilie (z.B. Ablösungskonflikte, Erwartungen von Bezugspersonen), Schwierigkeiten mit Lehrperson, Soziale Isolation, Freunde als Konkurrenten, mangelnde Wertschätzung als Person unabhängig von Leistung, wichtige Meilensteine in der kindlichen/jugendlichen Entwicklung wurden zugunsten musikalischer Aktivitäten geopfert.
Veranlagung (Prädisposition): Hochsensibilität, Emotionale Instabilität, Neurodiversität (z.B. ADHS; Autismus)
Siehe auch:
Psychologe für Musiker im Vergleich zu anderen Fachpersonen
Es gibt mehrere medizinische und nicht-medizinische Fachpersonen, die Musiker bei ihren mentalen und emotionalen Herausforderungen unterstützen können. Die Unterstützung von Psychologen ist besonders wertvoll im Vergleich zu anderen Fachleuten. Was machen Psychologen für Musiker im Unterschied zu diesen Professionen?
Medizinisches Fachpersonal arbeitet in den meisten Ländern unter geschützen Berufsbezeichnungen, d.h. "Psychologe" oder "Arzt" darf sich nur nennen, wer eine beim entsprechenden Gesundheitsamt (z.B. in der Schweiz dem Bundesamt für Gesundheit, BAG) anerkannten oder gleichwertigen Studienabschluss besitzt. Medizinisches Fachpersonal unterliegt ausserdem der Schweigepflicht.
Psychiater: Psychiater sind Ärzte mit einem Medizinstudium und auf die Behandlung schwerer psychischer Störungen spezialisiert. Im Gegensatz zu Psychologen, die Psychologie studiert haben, können sie Medikamente verschreiben. Während sie bei ernsthaften psychischen Erkrankungen hilfreich sind, konzentriert sich der Psychologe für Musiker auf die präventive und therapeutische Begleitung in der spezifischen Lebensrealität von Musikern.
Psychotherapeut: Psychotherapeuten behandeln ernsthafte psychische Erkrankungen nach von der Krankenkasse bzw. der Therapieschule (z.B. Verhaltenstherapie) vorgeschriebenen Behandlungsplänen. Psychotherapeuten sind in der Regel Ärzte und Psychologen mit einer Zusatzausbildung in Psychotherapie. Ein Psychologe für Musiker hingegen kann auch therapeutische Techniken verwenden, jedoch liegt der Fokus oft auf der Bewältigung der spezifischen und individuellen Herausforderungen des Musikerberufs. Die Arbeit ist oft präventiv und auf die Erhaltung und Verbesserung der mentalen Gesundheit und Leistungsfähigkeit ausgelegt, bevor ernsthafte Erkrankungen auftreten.
Beratende Berufe, wie "Psychosozialer Berater", "Coach", oder "Mental Trainerin" sind dagegen keine geschützten Berufsbezeichnungen, d.h. jeder kann sich einfach so nennen. Trotzdem haben einige dieser Fachpersonen aufwendige und qualitativ hochwertige Ausbildungen gemacht. Hier ist es jedoch notwendig, die entsprechenden zertifizierenden Ausbildungsinstitute gründlich zu beurteilen, denn im Prinzip kann auch jeder für so etwas eine Ausbildung anbieten und ein Zertifikat sowie einen bestimmten Titel vergeben. Internationale Fachverbände für spezifische beratende Berufe weisen deshalb anerkannte Ausbildungsstätten aus.
Coach: Ein Coach konzentriert sich in der Regel auf Zielsetzungen und die Überwindung beruflicher oder persönlicher Hürden. Obwohl auch Psychologen Ziele setzen, arbeiten sie tiefgründiger, indem sie die psychischen Prozesse im Erleben und Verhalten und zugrundeliegende kognitive und emotionalen Muster eines Musikers untersuchen und verändern. Der Psychologe geht über die kurzfristige Zielsetzung hinaus und unterstützt nachhaltige Veränderungen. Viele Psychologen und Ärztinnen haben zusätzlich Zusatzausbildungen in Coaching-Methoden.
Mental Trainer: Mentaltrainer konzentrieren sich auf Leistungsoptimierung, während Psychologen auch emotionale Probleme und zwischenmenschliche Herausforderungen angehen. Mentaltrainer bieten vor allem Techniken zur Leistungssteigerung, z.B. Konzentrations-, Gedächtnis oder Entspannungstechniken. Eine Psychologin kann diese Techniken aus dem Studium anwenden, aber kann auch noch weiter gehen: Sie arbeitet nicht nur an mentalen Techniken, sondern hilft auch bei tieferliegenden emotionalen, sozialen und familiären Schwierigkeiten, die die Performance beeinflussen können, sowie bei der Entwicklung der Persönlichkeit und langfristiger Bewältigungsstrategien.
Psychologen haben im Vergleich zu diesen Fachpersonen ausserdem eine umfassende Grundausbildung in Neurowissenschaft (z.B. bzgl. der Funktionsweise von Gedächtnisses, Wahrnehmung und Konzentration), Entwicklungspsychologie von Kindern, Wirtschaftspsychologie und Sozialer Kommunikation & Interaktion. Psychologen können ausserdem psychische (und teilweise kognitive) Gesundheit und Krankheit einschätzen und diagnostisch kompetent einschätzen, um bei Bedarf Psychotherapeuten und Neurologinnen hinzu zu ziehen.
Problematische Abrechnungsregeln der Krankenkassen
Ein großes Problem im Gesundheitssystem ist, dass Krankenkassen in vielen Ländern nur die Kosten für Psychotherapeuten und Psychiaterinnen übernehmen, wenn eine diagnostizierte psychische Störung vorliegt. Psycholog:innen ohne psychotherapeutische Zusatzausbildung dürfen keine psychischen Erkrankungen wie Depressionen behandeln. Dies bedeutet, dass präventive psychologische Unterstützung oder subklinischer Symptomatik, wie sie beispielsweise ein Psychologe für Musiker bietet, oft nicht von den Kassen gedeckt wird. Viele Musikerinnen könnten von einer frühzeitigen, nicht-pathologischen Begleitung profitieren, um emotionale und soziale Belastungen sowie Leistungsdruck abzufedern, bevor diese zu einer ausgewachsenen psychischen Störung führen. Diese präventive Arbeit bleibt jedoch oft ungenutzt, da sie privat finanziert werden muss. Es gibt allerdings Ausnahmen: In bestimmten Fällen, wie etwa bei spezifischen Vorsorgeprogrammen oder im Rahmen von Zusatzversicherungen in der Schweiz, können auch präventive Maßnahmen oder psychologische Beratungen abgedeckt werden. Hier kommt es jedoch stark auf die individuellen Versicherungsbedingungen an. Ausserdem kann es ein Vorteil von Selbstzahlern sein, dass die Sitzungen nicht in der Krankengeschichte hinterlegt werden.
Fazit
Ein Psychologe für Musiker bietet spezialisierte Unterstützung, die auf die komplexen mentalen und emotionalen Anforderungen der Musikwelt zugeschnitten ist. Im Vergleich zu Psychiaterinnen, Coaches, Mentaltrainerinnen und Psychotherapeuten liegt der besondere Wert dieses Fachbereichs in seinem tiefen Verständnis für die Zusammenhänge zwischen den allgemeinen und den berufsspezifischen psychologischen Herausforderungen von Musikern sowie seiner Fähigkeit, präventiv therapeutisch und nachhaltig zu arbeiten. Musiker erhalten somit nicht nur Hilfe in akuten Stresssituationen, sondern auch langfristige Unterstützung, um ihre psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu fördern.
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