Durch Schlafen schneller und bessere musikalische Fortschritte machen? Das klingt zu schön um wahr zu sein. Doch tatsächlich ist Schlaf für den Lernerfolg und insbesondere für motorisches Lernen entscheidend. Wie kann man also Schlaf für den musikalischen Erfolg optimal einsetzen?
24 Jahre - ein Drittel unseres Lebens bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 80 Jahren - verbringen wir mit Schlafen. Im Gegensatz dazu gehen nur etwa 8 Jahre auf Arbeitstätigkeiten zurück. Der Schlafbedarf ist bei Säuglingen kurz nach der Geburt am größten, stabilisiert sich mit dem Erwachsenwerden, um sich dann im Alter entweder stark zu erhöhen oder zu verringern. In westlichen Ländern liegt der durchschnittliche Schlafbedarf bei 7-8h pro Tag wobei der individuelle Schlafbedarf sehr unterschiedlich sein kann. Entscheidend ist, mit welcher Menge Schlaf man individuell am leistungsfähigsten ist. Dabei darf jedoch nicht unterschätzt werden, dass man sich an zu wenig Schlaf auch gewöhnen kann und den eigentlich höheren Bedarf daher unterschätzt. Einen guten Anhaltspunkt, wie viel Schlaf man tatsächlich braucht kann man erhalten, wenn man im Urlaub einige Tage ohne Wecker schläft.
Schlaf und Lernen
Viele Geheimnisse darüber, wie genau das Gehirn Schlaf nützt, sind noch nicht gelüftet, doch eines ist klar: Schlaf ist für Lernen jeder Art unverzichtbar und damit für den Lernerfolg entscheidend.
Ganz grob wird Lernen anhand des zu lernenden Materials unterschieden: "deklaratives" Lernen umschreibt das Lernen von Wissen, Fakten und ähnlichem, das z.B. in Schule oder Studium gelehrt und mit dem Verstand aufgenommen wird. Demgegenüber beschreibt "prozedurales" Lernen das Lernen von Abläufen, wie z.B. motorisches Lernen. Dazu gehören neben dem Instrumentalspiel auch Autofahren, Fahrradfahren oder andere hochautomatisiert ablaufende Prozesse oder Programme. Beide Lernarten können beschränkt bewusst (explizit) und unbewusst (implizit) ablaufen, wobei natürlicherweise deklaratives Lernen expliziter abläuft (z.B. explizite Gedächtnisstrategien, sich etwas zu merken) und prozedurales Lernen impliziter. Deklaratives Lernen kann (auch implizit z.B. über starke Emotionen oder explizit durch starkes Interesse/starke Motivation) sehr rasch erfolgen, teilweise durch einen einzigen Lernvorgang. Prozedurales Gedächtnis erfordert für die Herstellung von automatisch ablaufenden Programmen in der Regel Wiederholungen, da diese Programme erst in trieferliegenden Gehirnstrukturen verankert werden müssen. Das explizite Richten von Aufmerksamkeit und Konzentration auf das Üben der Bewegung kann jedoch den Prozess beschleunigen.
In den durchschnittlich 7 bis 8 Stunden die wir täglich schlafen durchläuft das Gehirn verschiedene Schlafphasen. Die ersten Stunden sind meistens von Tiefschlaf (sog. Slow Wave Sleep wegen der langsamen Gehirnwellen, die man in dieser Zeit messen kann) geprägt. Gegen Ende der Nacht, die letzten 2-3 Stunden tritt mehr und mehr sogenannter REM-Schlaf auf, der von schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movements, daher der Name) begleitet ist. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass deklaratives Wissen eher im Tiefschlaf verankert wird, während prozedurales Lernen vermutlich im REM-Schlaf stattfindet. Der REM-Schlaf ist auch die Phase, in der wir lebhaft und auch motorisch träumen, also in der das Gehirn die Bewegungen des Tages übt. So schnitten Teilnehmende an Studien in motorischen Lernaufgaben, die am nächsten Tag überprüft wurden, schlechter ab, wenn ihnen der REM-Schlaf entzogen wurde. Auch durch die Gabe von Anticholinergen Stoffen bleibt der Profit vom REM Schlaf aus, den ACh (Acetylcholin) ist für die Signalübertragung an Nervenzellen tagsüber sowie insbesondere im REM-Schlaf wichtig. Ein weiterer Hinweis darauf, dass prozedurales Lernen im REM-Schlaf stattfindet.
Schlafen wir zu kurz oder allgemein schlecht, vermisst das Gehirn also besonders diese Schlafphasen, die für Bewegungslernen so wichtig sind. Bewegungslernen findet dann trotzdem statt, kann jedoch nicht beschleunigt werden bzw. die tagsüber gelernten Bewegungen werden im Schlaf nicht "konsolidert", d.h. im Gedächtnis stabilisiert. Solches Lernen benötigt in der Regel längere Pausen zwischen den Lernabschnitten, um den selben Lernerfolg zu erzielen (s. zukünftige Folge zur Bedeutung von Pausen). Deklaratives Lernen, welches Musiker:innen zum Beispiel benötigen, um Musikstücke analytisch zu verstehen, zu memorieren, auswendig zu spielen und kreative, gestalterische Aspekte im Gedächtnis zu behalten, findet dagegen vorwiegend im Tiefschlaf statt. Schlafen wir zur falschen Zeit, gehen wir zu unregelmäßigen Zeiten ins Bett, oder können wir zum Beispiel aufgrund von Zeit-Verschiebung oder Stress nicht gut einschlafen, leidet besonders auch der dafür notwendige Tiefschlaf zu Beginn der Nacht.
Die besten Musiker:innen machen einen Power-Nap
Schon 1993 konnte die Forschungsgruppe um Karl Ericsson zeigen, dass die besten Musiker:innen nicht nur nachts länger schliefen als ihre weniger erfolgreichen Kolleg:innen, sondern auch tagsüber häufiger und längere kürze Schläfchen ("Naps", "Power-Naps") einsetzten. Auch wenn die damalige Studie heute wegen methodischer Unklarheiten zum Teil kritisiert wird, konnten die Ergebnisse mehrfach repliziert werden. Stuard Wilson & Joseph Baker fanden signifikant mehr Tag- und Nachtschlaf bei den besten Athlet:innen in einer Sportstudie und ebenso auch bei den Nachwuchstalenten. Und es kommt noch besser! Mit motorischen Lern-Experimenten konnte die Bedeutung von Schlaf für motorisches Lernen in vielen Studien gezeigt werden. Die Forschungsgruppe um Matthew Tucker zum Beispiel, ließ Musiker:innen und Nicht-Musiker:innen Finger-Sequenzen lernen und klopfen (sogenanntes "Tapping"- Experiment) und fand, dass in beiden Gruppen Schlaf die motorische Leistung am nächsten Tag verbesserte. Dabei war die absolute Verbesserung bei Musiker:innen am größten und der Schlafentzug wirkte sich bei Nicht-Musiker:innen relativ am stärksten aus. Beide Gruppen erzielten mit Schlaf jedoch eine bessere motorische Leistung. Eine weitere Studie der Gruppe um Amy Simmons untersuchte mit einer schwierigeren Aufgabe (12-Ton Klaviermelodien) professionelle Musiker:innen und konnte zeigen, dass auch die Gleichmäßigkeit von Fingerbewegungen maßgeblich von Schlaf profitiert.
Der Benefit und die Bedeutung von Schlaf für das motorische Lernen hängen allerdings auch vom Üben ab. So konnte eine Studie der Forschungsgruppe um Kenichi Kuriyama zeigen, dass motorische Aufgaben jeglichen Schwierigkeitsgrads über Nacht besser (schneller) wurden, jedoch die schwierigsten Aufgaben am meisten profitierten (17.8% im Vergleich zu 1.4%). Dies erklärt möglicherweise, warum Musiker:innen bei der Studie von Matthew Tucker besser abschnitten - für sie ist eine Tapping-Aufgabe relativ einfach, da sie derartige Bewegungen vom Instrumentalspiel gewohnt sind. Die Konsequenz aus dieser Studie ist jedoch: Motorische Abläufe, insbesondere aber besonders schwierige oder neue Abläufe übt man am besten in Phasen, in denen man genug Schlafenszeit zur Verfügung hat.
Es versteht sich von selbst, dass falsch eingeübte Bewegungen sich auch falsch im Gehirn verankern.
Mit Schlaf zum musikalischen Erfolg
Wer auf genug Schlaf achtet, tut nicht nur der körperlichen und mentalen Fitness etwas Gutes, sondern auch dem Bewegungslernen. Damit kann direkt und indirekt der musikalische Erfolg im Rahmen der eigenen Möglichkeiten verbessert werden.
Zugegeben sind gerade im Musikbusiness ein unregelmässiger Tagesablauf, straffe Zeitpläne und viel bzw. Zeitzonen-übergreifende Reisetätigkeit Hauptursachen für Stress und schlechten oder zu wenig Schlaf. Dass Bewegungslernen auch durch Power-Naps am Tag verbessert werden kann, ist jedoch ein gutes Zeichen, und für den Abbau von Stress zur Verbesserung des Nachtschlafs stehen verschiedene psychologische Entspannungsmethoden zur Verfügung.
Katzen schlafen mit 12-16h täglich übrigens fast doppelt so viel wie Menschen. Vielleicht sind sie auch deshalb so geschickte Jäger:innen, weil ihr - mit dem menschlichen Gehirn verglichen - kleineres Gehirn dadurch viel effizienter Bewegungen und deren Koordination lernen kann. :-)
Quellen und weiterführende Literatur
Born, J., Rasch, B., & Gais, S. (2006). Sleep to remember. The Neuroscientist, 12(5), 410-424.
Ericsson, K. A., Krampe, R. T., & Tesch-Römer, C. (1993). The role of deliberate practice in the
acquisition of expert performance. Psychological Review, 100(3), 363–406.
Kuriyama, K., Stickgold, R., & Walker, M. P. (2004). Sleep-dependent learning and motor-skill complexity. Learning & memory, 11(6), 705-713.
Tucker, M. A., Nguyen, N., & Stickgold, R. (2016). Experience playing a musical instrument and overnight sleep enhance performance on a sequential typing task. PLoS One, 11(7), e0159608.
Simmons, A. L., & Duke, R. A. (2006). Effects of sleep on performance of a keyboard melody. Journal of Research in Music Education, 54(3), 257-269.
Wilson, S. G., & Baker, J. (2018). Deliberate recovery: Exploring the relationship between expertise and sleep quantity in athletes. Reviews in the Neurosciences, 17(4), 375-392.
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