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Zyklisches Üben - Überraschende Erkenntnisse aus 6 Monaten musikalischer Selbsterfahrung

Früher habe ich mich nur über meinen Zyklus geärgert. Schmerzen, Müdigkeit, Tage an denen ich total unproduktiv war. Eigentlich war alles, was mit dem Zyklus zusammen hängt, negativ. Aber das stimmt so gar nicht. Und das hat besondere Konsequenzen für das erfolgreiche Üben und Musizieren. Frauen funktionieren einfach nicht jeden Tag gleich und wir haben dafür auch an jedem Tag oder zumindest alle paar Tage eine andere Superpower, die wir kennen müssen. Zyklisches Üben, inspiriert aus Sportwissenschaft und Arbeitsmedizin, kann dabei helfen.


Disclaimer: Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Frauen in Gehör, musikalischen Dimensionen, Intelligenz oder kognitiven Funktionen schlechter abschneiden als Männer! Einzig für körperliche Aspekte wie Muskelkraft finden sich im Durchschnitt Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Blogartikel zum Thema Musik, Frauen und Zyklus können genauso wenig als solchen Beleg verwendet werden. Relative Stärken und Schwächen über den Zyklus oder hormonelle Abhängigkeiten bewegen sich in einem Rahmen, der entweder objektiv gar nicht messbar ist, oder sich im Bereich der normalen Tages- und Uhrzeitabhängigen Schwankung menschlicher Fähigkeiten bewegt. Es geht daher lediglich darum, wie Frauen den Vorteil nutzen können, der sich daraus ergibt, dass ein Teil ihrer Fähigkeitsschwankungen im Vergleich zu Männern systematisch ist.


Zyklisches Üben - Persönliche Beobachtungen

Über das letzte halbe Jahre habe ich in meinem Übe-Journal unter anderem ein Zyklustagebuch geführt. Früher war mir das ja zu mühsam. In vielen Apps und anderen Tools bekommt man hunderte Emojis, Adjektiven und Symptom-Beschreibungen vorgegeben, aus denen man täglich auswählen soll, um seinen Zyklus zu tracken. Ich fand dieses System oft unübersichtlich und viel zu zeitaufwendig und habe es eigentlich nie länger als 2-7 Tage durchgeführt.

Ende 2022 fasste ich aber den Entschluss, mein Übe-Verhalten ganz generell systematischer zu planen und habe mir einen vereinfachten Zyklustracker selbst erstellt - mit musikalischem Bezug!

Obwohl ich wusste, dass sich meine körperliche und psychische Befindlichkeit maßgeblich über den Zyklus verändert, war ich erstaunt festzustellen, wie sehr sich das auch auf mein Übe-Verhalten und mein Cellospiel auswirkt. Nach 6 Monaten Zyklustagebuch sind mir mehrere Zusammenhänge aufgefallen.


Übe-Verhalten, Motivation & Selbstkritik

Besonders unzufrieden mit meinem Cellospiel, meiner Arbeit oder meinen Beziehungen bin ich wie viele Frauen 5-7 Tage vor der Menstruation. Das macht Sinn, denn der Östrogenspiegel und auch der Serotonin-Spiegel, die für gute Stimmung verantwortlich sind, sind da bereits sehr niedrig. Sich bewusst zu machen, dass die Selbstwahrnehmung in dieser Zeit hormonell bedingt besonders negativ ist, hilft, gelassener damit umzugehen und die Selbstkritik zu relativieren. Klar, wir kennen das eigentlich schon als eines der Symptome von PMS ("Prämenstruelles Syndrom"), aber das Zyklustagebuch führt diesen Zusammenhang viel eindrücklicher vor Augen. Menschen sind eben visuelle Menschen und durch die graphische Darstellung wird der aktuelle Zyklustrend sehr offensichtlich.

Das Gegenteil ist meistens in der Zyklusmitte um den Eisprung der Fall. Ich bin generell gut drauf, habe tausende Ideen und viel Energie. Sich lange hinsetzen und in Ruhe, womöglich noch langsam, alleine etwas üben? Nö, keine Lust und so lange kann ich dabei auch nicht still sitzen. In dieser Zeit spiele ich gerne Stücke einfach durch und finde, klappt doch super! Naja, ganz so vielleicht nicht, ich versuche schon ordentlich zu üben, aber die positive Stimmung und Lust auf Sozialkontakte führt dazu, dass ich viel Anderes im Kopf habe. Manchmal macht es daher auch Sinn, in dieser Phase einen Fun-Tag einzulegen, oder das Üben im Anschluss mit einer dieser Ideen oder Aktivitäten zu belohnen. Sport bewährt sich in dieser Zeit außerdem als Alternative zum Üben am Instrument, denn die viele Energie motiviert zum Auspowern und Sport ist noch dazu für das gesunde Musizieren hilfreich. Auch körperliches Ausdauer-Training am Instrument - also zum Beispiel körperlich über einen längeren Zeitraum anstrengende Werke im Tempo durchzuspielen - eignet sich in dieser Phase sehr gut.


Gehör

Jede:r Musiker:in egal welchen Geschlechts oder Alters wird wohl bestätigen können, dass das Gehör nicht jeden Tag gleich gut funktioniert! Ich habe mich gefragt, wie sehr die (subjektive) Hörfähigkeit bei uns Frauen auch durch die Stimmung oder Hormone zeitlich variiert und deshalb den Aspekt Gehör in meinen Zyklustracker mit aufgenommen. Mich erstaunt, wie schnell ich hier zusätzliche Muster in Kombination mit den anderen Merkmalen erkannt habe. Bin ich schlecht drauf, höre ich meistens schlecht, es kommt aber auf die Emotion an. An Tagen mit viel Wut, Unruhe, sehr kritischen Emotionen auch gegen mich selbst (typisches PMS also) höre ich sehr schlecht und es wird meistens durch die Unzufriedenheit noch schlechter. Es ist also gut, das zu erkennen und an diesem Tag lieber ein bisschen Selbstachtsamkeit zu praktizieren, anstatt unter Frust schlecht zu üben. Habe ich eher PMS Tage mit viel Traurigkeit, Depression oder Müdigkeit - besonders die letzten drei Tage vor Menstruation - ist mein Gehör manchmal sehr fein und genau, manchmal neutral und manchmal, besonders in den letzten 12 h vor Beginn der Blutung sehr emotional. Alles berührt mich dann sehr - schon eine C-Dur Tonleiter ohne Vibrato! Diese Tage nutze ich sehr gerne um Intonation zu üben, denn ich habe die Ruhe dazu. Und in den emotionalen Phasen kann man natürlich auch gut am musikalischen Ausdruck arbeiten. Paradoxerweise - ich hatte das so gar nicht erwartet - höre ich aber auch während des Eisprungs manchmal nicht besonders gut, wenn die Stimmung eigentlich rosig ist. Ich habe den Eindruck, dass meine sprunghaften Gedanken und meine positive Stimmung die Aufmerksamkeit von Intonation und Klangqualität ablenken. Mein Gehör ist also möglicherweise nicht hormonell bedingt per se schlecht, aber es fällt mir nicht so leicht, mich zu fokussieren. Überhaupt ist diese eine Kernfrage, die ich mir stelle und die nicht nur Frauen betrifft: In welchem Ausmaß wird unser Gehör von hormonellen Faktoren bestimmt und in welchem Ausmaß durch Emotionen beeinflusst. Da Hormone direkt auf Emotionen wirken können, lässt sich diese Frage wohl nicht ganz einfach beantworten. Es ist jedoch an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass keine Studien geschlechtsabhängige Unterschiede in der Hörfähigkeit oder Musikalität feststellen konnte! Die hier beschriebenen Schwankungen bewegen sich also vermutlich in einem Maß, das vergleichbar ist mit der allgemeinen individuellen Schwankungen menschlicher Fähigkeiten unabhängig von Geschlecht! Nicht zu letzte könnte es auch sein, dass die Schwankung der Hörfähigkeit objektiv gar nicht mit dem Zyklus schwankt, sondern sie primär subjektiv so empfunden wird, z.B. auf Grund von Zyklusabhängiger übermäßiger Selbstkritik. Auch viele Männer werden wohl bestätigen können, dass es sich nicht gut übt oder spielt, wenn man einen extrem schlechten Tag hat - egal durch was dies bedingt ist. Emotions-Management und ein emotional gesundes Umfeld sind also möglicherweise der Schlüssel!


Mein musikalisches Zyklustagebuch als Inspiration


In den nächsten Blogbeiträgen dieser Serie soll es genauer darum gehen, was wissenschaftlich über Musik & Zyklus bekannt ist. Was können wir Musikerinnen von der Sportmedizin des weiblichen Körpers lernen? Wie können wir den Zyklus optimal für uns nutzen? Und welche Forschungsergebnisse gibt es überhaupt. Zunächst ist es jedoch wichtig, den eigenen, individuellen Zyklus genauer kennen zu lernen.


Ein Zyklustagebuch ist jedoch etwas sehr individuelles und es gibt daher auch kein Rezept, das für alle Frauen funktionieren wird.


Hier geht es zur Anleitung wie du dir dein eigenes Zyklustracking erstellen kannst (mit Vorlage):



Musikalisches Zyklustagebuch für einen Beispiel Monat, erstellt aus Musikpsychologischer Sicht von Teresa Wenhart

Fiktives Beispiel: Musikalisches Zyklustagebuch für einen Monat


Mein musikalischer Zyklustracker ist in 4 Zeilen und eine breitere Zeile als Stimmungsbarometer unterteilt. Jeden Tag trage ich in 4 Zeilen aus Kästen mit Farben und Symbolen, die ich in einer Legende definiert habe, ein, ob es etwa Zyklussymptome (z.B. Eisprungsymptome, Blutung, klassische PMS Symptome wie Brustspannen) oder unspezifische, körperliche Auffälligkeiten gab (z.B. Kopfschmerzen, Schwindel, etc.). Dazu kommen psychische Symptome (wie z.B. Wut, Angst, Freude, Euphorie, Heißhunger, Müdigkeit, Ruhe oder Unruhe). Diese drei Zeilen reflektieren eigentlich schon ganz gut das Stimmungsbarometer (die unterste, breite Zeile) bei dem ich jeweils ein Kreuzchen im Verhältnis zur Null-Linie setze und alles in allem reflektiert dieses Zyklustagebuch sehr gut meinen Monatsverlauf. Als vierte Zeile habe ich "Gehör" hinzugefügt - mit überraschenden Ergebnissen (siehe oben).


Probiert es mal aus! Überraschung garantiert! :-)






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